Digitale Nachhaltigkeit: Was ist das? Wie geht das?

Luki-Wiki Digitale Nachhaltigkeit
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In Ökologie und Ökonomie macht es sich immer gut, von Nachhaltigkeit zu sprechen. Auch im kirchlichen Bereich reden wir gerne von Nachhaltigkeit, wenn es Bewahrung der Schöpfung und Sozialethik geht. Über die Einladung von Luki, dem Verein der Linux-User in der Kirche, zum diesjährigen Jahrestreffen, habe ich mich gefreut, digitale Nachhaltigkeit sollte das Hauptthema auf beim Luki-Treffen in Essen an diesem Wochenende sein.
Ich war eingeladen, unseren Prozess zu Open Educational Resources (OER) darzustellen und dabei besonders auf Augustin als theologische Begründung einzugehen. OER macht Bildungsinhalte nachhaltiger, jedoch orientierte ich mich zunächst, was im Netz unter digitaler Nachhaltigkeit verstanden wird.
Zunächst die Möglichkeit, Informationen nachhaltig abzurufen, d.h. Speichermedien müssen in der Zukunft verfügbar sein und Datenformate so beschaffen sein, dass die so gespeicherte Information lesbar bleibt. So versteht beispielsweise ein niederländisches UNESCO-Projekt digitale Nachhaltigkeit:

Digital Sustainability
Digital information is difficult to preserve over longer periods of time. Carriers like hard disks have a short life span, and even if one manages to keep the bits and bytes, the risk that current hard- and software is unable to process the old data is very real. Archives, museums and libraries are acutely aware of these problems, yet they cannot find solutions on their own. The UNESCO PERSIST Project stimulates the debate between these institutions, government and the ICT-industry in order to promote digital sustainability. In its current phase PERSIST is coordinated by the Netherlands National Commission for UNESCO.

Digitale Nachhaltigkeit in diesem Sinne verstanden, wäre im kirchlichen Kontext dann eher Aufgabe der Archive. Eine andere Definition digitaler Nachhaltigkeit findet sich in Bezug auf die ressourcenschonende Bereitstellung digitaler Inhalte. In diesem Sinne engagiert sich beispielsweise der britische Guardian:

The Guardian is driven to address and reduce the environmental impacts of digital media delivery as part of its carbon positive commitment to take climate change more seriously.
The digital sustainability strategy also gives us the opportunity to engage with our audience, showcase our openness and demonstrate how we are contributing to a more sustainable future.
On top of this, we hope to improve the design of our digital products, cut costs and reduce our carbon footprint across the value chain. …
Other opportunities lie in encouraging readers to view our content on low-power devices, such as Kindle, iPad and smartphones.

Nur als Nebenbemerkung: letzte Woche mäkelte mein Android-Smartphone, dass die Nachrichtenapp der Washington Post deutlich mehr Strom als andere Apps verbrauche und die Ladezeit meines Akkus unnötig belaste. Also kann falsche oder schlechte Programmierung zu unnützem Stromverbrauch beitragen. Digitale Nachhaltigkeit wird hier im Sinner von Green IT verstanden.
Die Möglichkeit der Langzeit-Archivierung und die Reduzierung von Stromverbrauch sind zwar wichtige Ziele, jedoch sehe ich im Begriff der digitalen Nachhaltigkeit eher eine Aufgabe, wenn wir Nachhaltigkeit im Sinne von Freier Software bzw. Open-Source-Software, im Sinne offener Standards, im Sinne von Open Content, Open Access und OER verstehen, so wie in diesem Wikipedia-Artikel:

Digitale Nachhaltigkeit
Digitalen Nachhaltigkeit beschreibt die langfristig orientierte Herstellung und Weiterentwicklung von digitalen Wissensgütern. Ausgehend vom Begriff der Nachhaltigkeit, der bisher vorwiegend im Zusammenhang mit ökologischen Themen verwendet wird, beschreibt das Konzept der Digitalen Nachhaltigkeit gemäß Definition der nachhaltigen Entwicklung im Brundtland-Bericht den bewussten Umgang mit Ressourcen in der Weise, dass deren heutige Erstellung und Verwendung die Bedürfnisse kommender Generationen nicht beeinträchtigt.
Digitale Ressourcen werden dann nachhaltig verwaltet, wenn ihr Nutzen für die Gesellschaft maximiert wird, sodass die digitalen Bedürfnisse gegenwärtiger und zukünftiger Generationen gleichermaßen erfüllt werden. Der gesellschaftliche Nutzen ist dann maximal, wenn die Ressourcen der größten Anzahl zugänglich und mit einem Minimum an technischen, rechtlichen und sozialen Restriktionen wiederverwendbar sind. Digitale Ressourcen sind Wissen und kulturelle Artefakte digital repräsentiert als Text, Bild, Audio, Video oder Software. (Definition nach Dapp)
Digitale Nachhaltigkeit grenzt sich in der Weise von der ursprünglichen Definition von Nachhaltigkeit ab, als dass Digitale Nachhaltigkeit ausschließlich immaterielle Güter, sogenannte Wissensgüter, behandelt. Solche nicht-physischen Ressourcen sind nicht-rivalisierend, sodass kein Verzehr der Güter stattfinden kann. Gleichwohl können digitale Ressourcen sowohl ausschließbar (ein so genanntes Klubgut) als auch nicht ausschließbar (ein so genanntes öffentliches Gut) sein. Mittels Schutz des geistigen Eigentums können digitale Ressourcen vom freien Gebrauch und der freien Weiterentwicklung ausgeschlossen werden.

Digitale Inhalte reduzieren sich nicht, wenn sie geteilt werden. Dies unterscheidet sie grundlegend von stofflichen Inhalten, die begrenzt sind und beim Teilen sich vermindern.
Theologisch in diesem Sinne immer wieder hilfreich Augustinus (De doctrina Christiana):

Omnis enim res, quae dando non deficit, dum habetur et non datur, nondum habetur, quomodo habenda est.“ – „Denn jede Sache, die durch Weitergabe an andere nicht verliert, besitzt man nicht, wie man soll, solange sie nur besessen und nicht an andere weitergegeben wird.“

Weitere theologische Anknüpfungspunkte finden sich im Zwischenbericht zu OER in der EKiR.
Welche Wirtschaftsethik und welche Geschäftsmodelle haben wir, wenn es um digitalen Content geht? Bei freier Software ist der Programmcode frei verfügbar, es werden Dienstleistungen erbracht: Wartung, Anpassung, Service – während bei proprietärer Software der Kunde oder die Kundin durch den Vendor Lock-in an einen Hersteller gebunden ist. In diesem Sinne kann freie Software als nachhaltiger bezeichnet werden, da unbillige Abhängigkeiten verhindert.
Digitale Bildungsinhalte wirken nachhaltiger, wenn sie als OER genutzt werden können. Open Data garantiert eine nachhaltige Nutzung der Daten.
Die Diskussion muss aber weitergehen:

  1. Wie sieht die Bezahlung derjenigen aus, die hauptberuflich digitale Inhalte erstellen? Wer Inhalte unter offene Lizenzen stellt, minimiert deren weitere wirtschaftliche Verwertung. Wer im Hauptberuf bereits alimentiert ist, kann anders damit umgehen als jemand, dessen Hauptverdienst das Erstellen von Content – ob Text, Audio oder Video ist, und der für die einzelne Produktion bezahlt wird.
  2. Wenn die öffentliche Hand – und das gilt auch für die Kirche – digitale Inhalte erstellen lässt, sollten diese unter einer offenen Lizenz stehen, um Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Jedoch wird es nicht immer möglich sein, Content unter offenen Lizenzen zu produzieren, da die Produktion dadurch aufwändiger wird. Aufwand und Nutzen müssen aber in einem sinnvollen Verhältnis stehen. Gefragt ist daher eine Open-Content-Strategie
  3. Wenn Inhalte unter offenen Lizenzen publiziert werden, verliert die Autorin oder der Autor die Kontrolle. Unter GPL veröffentliche Programme können auch zur Kriegsführung genutzt werden, da es sich um freie Software handelt. Wenn der programmcode auch digital nachhaltig sein kann, widerspricht dies anderen Aspekten von Nachhaltigkeit.

Digitale Nachhaltigkeit kann auch für den kirchlichen Kontext ein Framework darstellen, unter dem man Open Content, OER und Open Data zusammenfassen kann, allerdings sind noch viele Einzelheiten zu klären. Wer möchte kann sich gerne am Luki-Wiki zu Digitaler Nachhaltigkeit beteilen.

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4 Antworten zu “Digitale Nachhaltigkeit: Was ist das? Wie geht das?”

  1. Interessanter Artikel, auf dem Barcamp Rheinland kamen wir ja leider nicht dazu, diese Fragen zu diskutieren, zumindest nicht, so lang eich dabei war. Ich weiß noch, dass im Vorfeld die Frage im Raum stand, ob Open Source theologisch angemessener sei als bezahlte Daten, Programme usw.
    Diese Frage hast du hier auch aufgenommen, unter 1. bei den weitergehenden Fragen, und genau wäre auch seinerzeit meine Anfrage gewesen. Sorge um den Lebensunterhalt ist mindestens so ethisch wie die Kultur des Teilens. Aber auch hier lässt sich das Argument noch von der anderen Seite der Nutzer/-innen reflektieren: Klar, manch eine/r verdient sein Geld mit dem Erstellen von Content. Die Nutzung desselben wird dann aber eingeschränkt bzw. ausgeschlossen für die, die – aus welchen Gründen auch immer – kein Geld haben, sich diesen Content \“leisten\“ zu können.
    Eine spannende Frage, die meines Erachtens (zu) selten reflektiert wird. Es gibt sie auch in anderen Zusammenhängen (und berührt dann Punkt 2): vor ein paar Jahren beklagte sich eine Buchhändlerin bei mir, dass ich als Gemeinde kulturelle Veranstaltungen /Lesungen, Konzerte) sehr preiswert anbiete und ich somit die Preise \“kaputt\“ mache. Sie als Geschäftsfrau wäre nicht in der Lage zu solch niedrigen Eintrittspreisen Angebote zu machen, ohne drauf zu zahlen. Umgekehrt argumentierte ich: na ja, aber so können sich mehr Leute die Karten leisten…
    Dahinter zeigt sich für mich eine tiefergehende und sehr grundsätzliche Frage: Wie eigentlich kommen \“kostenlose\“ Güter, Dienstleistungen und so weiter in den \“Markt\“, der sich ja über Angebot und Nachfrage regelt und damit auch den Preis? Sind solche Güter weniger \“wert\“, weil sie nichts \“kosten\“? Regelt sich Angebot und Nachfrage hier vielleicht nicht über den Preis und damit das Geld, sondern über Qualität (Linux und Libre Office sind \“konkurrenzfähig\“, weil sie durch ihre Qualität überzeugen, nicht weil sie nichts kosten)?

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