Was sagt Augustinus zu Arbeit 4.0?

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„Die Diskussion um die Digitalisierung der Arbeitswelt wird überwiegend von der Wirtschaft dominiert. Die Kirchen müssen sich mehr einbringen und darauf achten, dass der Mensch im Mittelpunkt der Diskussion bleibt,“

so fasst der WDR mein heutiges Interview im Magazin Politikum zusammen. Zur Vorbereitung hatte ich mir einige Gedanken gemacht, welchen Beitrag Kirche und Theologie zum gesellschaftlichen Diskurs zur Digitalisierung in der Arbeitswelt leisten können.
Ich erlebe es, dass Digitalisierungsdebatten stark von der Wirtschaft getrieben werden, Digitalisierung verändert aber nicht nur das Wirtschaftsleben, sondern unsere Gesellschaft. Daher ist es wichtig, dass sich alle gesellschaftlichen Gruppen einbringen, also auch Gewerkschaften, Verbände, NGOs und auch die Kirchen.
Als Kirche können wir unser christliches Menschenbild einbringen, außerdem ist es spannend, unsere eigenen theologischen Traditionen neu bzw. wieder zu entdecken, manchmal gewinnen sie aufgrund der technischen Entwicklungen auf einmal noch eine weitere Bedeutung.
Natürlich hat Augustinus nicht an Daten gedacht, als er schrieb: „Wenn eine Sache nicht gemindert wird, da man sie mit anderen teilt, ist ihr Besitz unrecht, solange man sie nur allein besitzt und nicht mit anderen teilt.“ Aber die verlustfreie Weitergabe von Daten gibt dieser Aufforderung zu teilen einen weiteren Sinn. Mitarbeitende der rheinischen Kirche haben seit kurzem erweiterte Nutzungsrechte erhalten, um von Ihnen in der Arbeitszeit und im Arbeitsauftrag erarbeitete Lerninhalte weiterzugeben. Wer angestellt ist, freut sich, wenn sie oder er nun seine Arbeitsergebnisse frei weitergeben darf. Ist jemand jedoch freie Mitarbeiterin oder Mitarbeiter, muss man über die Entlohnung neu nachdenken, wenn erbrachte Leistungen nun frei an alle weitergegeben werden. Was heißt in diesem Kontext dann gerechter Lohn?

Sonntagsruhe für Industrie 4.0?

Industrie 4.0 heißt, Menschen, Maschinen, Anlagen, Logistik und Produkte kommunizieren und kooperieren direkt miteinander, das geht 24/7. Maschinen brauchen keine Ruhezeiten, die Systeme sind immer online und können ohne Unterbrechung produktiv sein. Wie bringen wir hier unser christliches Menschenbild ein? Schöpfungstheologisch bilden Ruhe und Arbeit eine untrennbare Einheit. Nach Gen 2,2 vollendete Gott am siebten Tag seine Arbeit und ruhte von ihr. Ruhe ist hier kein Gegensatz zur Arbeit, sondern Ergänzung. Was bedeutet Sonntagsruhe, wenn man 24/7 online ist? Wie gehen wir mit Ruhezeiten und Sonntagsschutz um?

Bedingungsloses Grundeinkommen?

In der Neuzeit wurde Arbeit immer wichtiger, dies geht bis zur Annahme, der Mensch werde erst durch seine Arbeit zum Menschen. Reformatorische Theologie widerspricht hier, jeder Mensch hat seine unverlierbare Würde in der Gottebenbildlichkeit, die vor aller eigenen Leistung gilt. Was bedeutet dies in einer digitalen Gesellschaft, in der einerseits einige Menschen immer online sind und permanent arbeiten, andere Menschen aber freigesetzt werden und ohne Arbeit bleiben? In der Sozialethik spricht man vom gerechten Lohn. Der Mensch soll nicht nur von, sondern auch in seiner Arbeit leben können. Was aber, wenn immer weniger Menschen bezahlte Arbeit haben, weil es immer weniger Arbeit für Menschen gibt, weil Maschinen immer mehr Arbeit erledigen? Ich finde es interessant, wenn im Gespräch mit Inhabern von Start-ups über biblische Texte von ihnen die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens eingebracht wird. Wer nicht mehr für den Lebensunterhalt arbeiten muss, kann selbstbestimmt andere Arbeit als Erwerbsarbeit für sich wählen. Je mehr Arbeit Maschinen verrichten, desto wertvoler wird menschliche Arbeit, z.B. in der Erziehung oder Pflege. In Zeiten der Social-Media-Kommunkation gewinnt ein handschriftlicher Brief per Post versandt ein besonderes Gewicht. Dies gilt auch für Arbeit, bei der sich ein Mensch dem anderen zuwendet.

Transparente Algorithmen?

Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort bringen Vorteile sowohl für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch für Unternehmerinnen und Unternehmer. Start-Ups setzen solche flexiblen Arbeitsweisen bereits um. Aber es gibt natürlich auch Risiken und Schwierigkeiten, Flexibilisierung führt zu einem Spagat zwischen Gewinnmaximierung und dem Schutz von Arbeitnehmerrechten. Die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert führte zu einer Umgestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, der Arbeitsbedingungen und Lebensumstände. Kapitalistische Unternehmer und lohnabhängige Proletarier standen sich gegenüber. Es brauchte Zeit, bis sich Rahmenbedingungen veränderten und sich in Deutschland eine soziale Marktwirtschaft herausbildete. Welche Rahmenbedingungen brauchen wir heute für die digitale Gesellschaft, in der Algorithmen und Zugriff auf Daten immer wichtiger werden? Im 19. Jahrhundert bildeten sich wirtschaftliche Industrie-Monopole heraus, im 21. Jahrhundert kontrollieren Plattformen unsere Wirtschaft. Prgrammiercode und Algorithmen sind nicht neutral, aber wer kontrolliert die Algorithmen? Muss es eine Transparenzpflicht geben mit einer Offenlegung des Codes? Dann ließe er sich auch frei teilen, so wie von Augustinus gefordert. Freies Teilen als Schutz vor digitalen Monopol-Plattformen?
Dies ist ein kurzer Aufriss sozialethischer Fragen, die die Digitalisierung mit sich bringt, und wo wir uns als Kirche in den Diskurs einbringen können, um gemeinsam nach Antworten zu suchen.

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3 Antworten zu “Was sagt Augustinus zu Arbeit 4.0?”

  1. Eine ganz wunderbare Zusammenfassung mit einigen guten Punkten/Argumenten – ganz herzlichen Dank dafür!
    Allein dem letzten Absatz möchte ich widersprechen: Das sind keine Fragen, wo wir uns in den Diskurs einbringen können. Es sind Fragen, wo wir uns in den Diskurs einbringen müssen.

  2. Empfehlung Buch-Neuerscheinung: „Ausgesetzt zur Existenz“; Franz Sternbald
    Virtú oder virtuell? .. Während dem Meister seines Handwerks kaum das Zertifikat seiner Qualifikation gegönnt wird, würden ihm im digital vollautomatisierten Industriebetrieb allenfalls öde Maschinenüberwachungsfunktionen zufallen. Die Entfremdung des Menschen von seinem Werk erfolgt in exponentieller Geschwindigkeit, die jede gesellschaftspolitische Reaktion überfordern und zuletzt unmöglich machen wird. Abqualifiziert und sinnentleert kann „Arbeit 4.0“ unmöglich als ein würdiger Teil des menschlichen Daseins angenommen werden (darüber können auch nicht Weiterbildungsmaßnahmen in Programmiersprachen hinweg trösten). Die Forderung des Lebenslangen Lernens wird aus dem Munde der Digital-Lobby zum blanken Zynismus der entmenschsten Produktivität. Sofern Produktion nicht mehr durch Menschen für Menschen Wertschätzung erfahren kann, bedeutet digitalisierte Produktivität zuletzt eine zirkelhafte Selbstbezüglichkeit der Mittel, die sich die Zweckhaftigkeit angeeignet haben. Im Strudel der technoiden Beschleunigungsspirale verschwindet jeder kulturelle Form- und Gestaltwille in einem Strudelabfluß des veritablen Nichts. Wir fallen letztlich der Ideologie eines digitalen Nihilismus anheim. In seiner Betrachtung der Relevanz des hegelschen Materialismus, konstatiert der slovenische Philosoph Slavoj Zizek die Virtualität künftiger Realitäten (virtuell erweiterte Realität =augmented virtual reality) als eine Steigerung der Potentialität. Das Potentielle sind die noch nicht verwirklichten Möglichkeiten aus einem bereits gegebenen Regelrahmen zur Verwirklichung (z.B. der Fall einer bestimmten Augenzahl beim Würfeln). Hingegen ist die Virtualität die potenzierte Möglichkeitsform aus dem Raum unvorgegebener, und daher unkalkulierbarer Möglichkeiten. Diese sind dann völlige Neuschöpfungen quasi aus dem Nichts (ex nihilo). Bei der Verwirklichung eines virtuellen Ereignisses im Rahmen einer digitally augmented reality, ergeben sich sozusagen künftig tatsächlich ‚unmögliche Möglichkeiten’. Es handelt sich hierbei quasi um eine Schöpfung aus dem Nichts (creatio ex nihilo), also einer Schöpfung ohne Schöpfer, ein Sein ohne Grund.
    Die Auslöschung des Reellen durch das Virtuelle hinterläßt eine Leere des rein Potentiellen eines unendlichen Möglichkeitsraumes, der das Existenzielle durch die unendliche Null vollkommen ersetzt.
    *
    „ Ausgesetzt zur Existenz “ – warum der Mensch ein Schicksal ist
    – vom Ausgang aus der unverschuldeten Absurdität –
    Franz Sternbald

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